Am 13. August 1869 war die Synagoge eingeweiht worden. In einem Festzug, an dem unter anderem Oberbaurat Hoffmann, Vertreter der Zivil- und Militärbehörden sowie Vertreter der Wiesbadener Kirchen teilnahmen, wurden die Thorarollen aus der Synagoge in der Schwalbacher Straße in die neue Synagoge getragen. Die Einweihungsfeier war ein landesweit wahrgenommenes Ereignis, an dem auch der damalige König Wilhelm I. teilnahm. Am Abend vor der Einweihung gab der Synagogen-Gesangsverein unter seiner Anwesenheit ein Konzert. Anlässlich der Einweihung komponierte der Wiesbadener Musikdirektor Kéler Béla ein Stück eigens für den Festakt („Tempelweihe“), was die gesellschaftliche Bedeutung über die jüdische Gemeinschaft hinaus unterstreicht. Die Israelitische Kultusgemeinde nutzte die Synagoge in erster Linie für die Durchführung der Gottesdienste am Freitagabend und Samstagmorgen (Schabbat) sowie den Feiertagen. Auch für Bar und Bat Mizwa sowie Hochzeiten traf man sich in der Synagoge. Zu  Sukkot wurde die Laubhütte (Sukka) vor der Synagoge aufgestellt. Der Rabbiner erwartete die Kinder, die an Sukkot in der Sukka übernachteten. Einmal im Monat fand an einem Samstagmorgen ein Kindergottesdienst statt. Da die große Synagoge für das regelmäßige Gebet gesetzestreuer Mitglieder nicht an jedem Tag geöffnet und geheizt wurde, nutzten die wenigen Männer einen Betraum in der Synagoge bzw. im angrenzenden Gemeindehaus.

Dem neuen Selbstverständnis der Israelitischen Kultusgemeinde entsprechend wurde die Synagoge auch für Veranstaltungen genutzt. Der Synagogen-Gesangsverein lud sogar zu Konzerten am Freitagabend, was unter den gesetzestreuen Mitgliedern zu Widerständen führte. Um den Verein entspann sich eine Auseinandersetzung zwischen Gemeindemitgliedern, die 1876 zur Gründung der Alt-Israelitischen Kultusgemeinde als erste Austrittsgemeinde in Preußen führte. Ihren Sitz hatte sie in der Friedrichstraße 33, wo sich heute noch die Jüdische Gemeinde Wiesbaden befindet. Zuvor waren Jüdinnen und Juden per Gesetz verpflichtet, einer Gemeinde, die als Einheitsgemeinde  geführt werden musste, anzugehören. Das heißt, dass es an einem Ort nur eine jüdische Gemeinde geben durfte. Auch der Einbau der Orgel und die Änderungen im Ablauf der Gottesdienste trugen zum Austritt und zur Gründung der Alt-Israelitischen Gemeinde bei. Ihr gehörten Ende des 19. Jahrhunderts über 40 Familien an.

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